E-Fuels: Hintergründe, Technologien und Unternehmen

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E-Fuels: Hintergründe, Technologien und Unternehmen

Autor / Redakteur: Hans- Robert Richarz / Benjamin Kirchbeck

Wie lassen sich die Emissionen des Verkehrs zeitnah klimawirksam reduzieren? Die Lösung entspricht dabei keineswegs der Quadratur des Kreises und könnte mit synthetischen Kraftstoffen bereits grundsätzlich vorliegen. Teil 1.

Norwegen. Europäisches Musterland für Elektromobilität. Bereits ab 2025 will man dort die Neuzulassung herkömmlich angetriebener Autos ad acta legen. Statt mit staatlich verordneten Verboten soll das mittels massiver steuerlicher Anreize für die E-Mobilität sozusagen lautlos über die Bühne gehen. Elektroautos sind im Land der Fjorde und Nordlichter in Anschaffung und Betrieb daher oft günstiger als Fahrzeuge mit klassischem Motor.

Einige Mitglieder der EU wie etwa Dänemark, Frankreich, Irland oder die Niederlande würden gerne den Antriebsarten auf fossiler Basis ab 2030 per staatlichem Dekret den Garaus machen. Doch würde ein solcher Schritt – zumindest nach derzeitiger Gesetzeslage – gegen die EU-Regeln verstoßen, die dafür einen einstimmigen Beschluss vorschreiben. Die Dänen fordern daher, die Vorschriften so zu ändern, dass einzelne Staaten eigenständig über ein Verkaufsverbot entscheiden könnten. Eine EU-weite einheitliche Regelung solle es nicht mehr geben.

Hidden Champion oder Auslaufmodell?

Auch und nicht zuletzt in Deutschland werden die Stimmen lauter, Benzin- und Dieselaggregate bald zu Grabe zu tragen. „Der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor muss gesetzlich festgelegt werden", fordert Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Ab 2030 sollten „nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden“. Immerhin will er traditionell angetriebene Autos so lange weiterfahren lassen, bis ihr Leben wegen Altersschwäche von selbst endet. Während sich die Autoindustrie bei diesem Thema weitestgehend bedeckt hält, fiel Hofreiters Parteikollegen Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Auto-Bundeslandes Baden-Württemberg, zu dieser Forderung allerdings nur der Begriff „Schwachsinnstermin“ ein.

Auch für den Heilbronner Maschinenbau-Professor Karsten Wittek, ebenfalls in Baden-Württemberg beheimatet, wird der Verbrennungsmotor in der aktuellen Debatte zu Unrecht verteufelt. „Aber wir müssen uns von der Verbrennung fossiler Energieträger verabschieden. Die Frage ist, wie kommen wir am effizientesten da hin. Die flächendeckende Einführung der Elektromobilität wird jedenfalls zu keiner CO2-Einsparung führen. Denn geladen wird das E-Auto mit Energie aus dem üblichen Strommix", erklärte er der Tageszeitung „Heilbronner Stimme".

Davon unbeeindruckt sprach sich kürzlich die Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther von Bündnis 90/Die Grünen mitsamt ihrer Partei für eine Verbannung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren in der Hauptstadt aus. „Für wirksamen Klimaschutz führt kein Weg daran vorbei, sich möglichst schnell vom Verbrennungsmotor zu verabschieden“, erklärte sie in einem „Tagesspiegel"-Interview. Gerade deshalb sei es vonnöten, dass sich die Menschen „lieber schon heute nach E-Autos als nach neuen Verbrennern umschauen".

Dem widerspricht nicht nur Professor Wittek, sondern auch der Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Zwar würden einige Fahrzeughersteller zurzeit die weitere Entwicklung von Verbrennungsmotoren stoppen oder sie zeitweise pausieren, doch könne die Elektromobilität alleine nur einen Teil unserer Transportbedürfnisse abdecken. „Daher brauchen nationale und internationale Märkte ein mehrgleisiges Vorgehen, das den Verbrennungsmotor nicht vernachlässigt", heißt es in einer Einladung zum 7. Internationalen Motorenkongress in Baden-Baden am 18. und 19. Februar 2020, der unter dem Thema „Der Verbrennungsmotor: Hidden Champion oder Auslaufmodell?" steht.

Eine Frage des Zeitpunkts

Den Verbrenner jetzt aus den Fahrzeugen zu verbannen, wäre laut Experten keine Option. Doch wie verträgt sich das mit dem Ziel, den CO2-Ausstoß dieser Aggregate zum Wohl von Klimaschutz und Umwelt zu minimieren? Die Lösung heißt womöglich „synthetische Kraftstoffe". Diese werden künstlich hergestellt und sollen Fahrzeuge unabhängiger von fossilen Brennstoffen machen. Die Kombination aus effizienten Pkw- und Nfz-Motoren mit neuen Kraftstoffen könnte zur Schlüsseltechnologie für eine weitgehend CO2-neutrale Mobilität mit geringen Emissionen werden. Der Herstellungsprozess ist bei allen Varianten ähnlich: Die Moleküle des Ausgangsmaterials werden in ihre Bestandteile zerlegt, wodurch synthetisches Gas entsteht. Danach werden die Spaltprodukte dieses Gases neu sortiert und in einen flüssigen Rohstoff umgewandelt, der vor allem aus Kohlenwasserstoff besteht. Daraus können – wie bei Rohöl – verschiedene Produkte hergestellt werden, zum Beispiel Kerosin oder Diesel. Die notwendigen Moleküle können aus Pflanzen, Erdgas oder auch einfach aus Wasser und Kohlendioxid (CO2) hergestellt werden. Für das Endprodukt ist die Herkunft grundsätzlich egal – sie hat keinen Einfluss auf die Eigenschaften des Kraftstoffes.

Synthetische Kraftstoffe verbrennen deutlich sauberer als solche, die auf Rohöl basieren. Deshalb erzeugen sie auch weniger Schadstoffe wie Feinstaub und Stickoxide (NOX). Daneben gelten sie als schonend für Filter und Motoren. Sie sind lange lagerfähig, kälteunempfindlich, klar wie Wasser und passen in jeden Tank – ohne Umbau.

Welche Rolle diese Kraftstoffe eines Tages auf der Straße spielen werden, ist vorläufig noch ungewiss. Für Flugzeuge, große Nutzfahrzeuge und Schiffe könnten sie zuallererst in den Fokus rücken, da elektrische Antriebe für diese Fahrzeuge – wenn überhaupt – in weiter Ferne möglich sein werden. Neben einer auf Wasserstoff beruhenden Elektromobilität mittels Brennstoffzelle sind sie als Alternativen für hohe Reichweite denkbar. Skepsis überwiegt auch bei Professor Wittek, wenn er sagt: „Selbst Hersteller gehen davon aus, dass E-Fuels frühestens im Jahr 2025 im industriellen Maßstab zur Verfügung stehen. Für die Erfüllung der 2030er-Klimaziele werden E-Fuels daher kaum einen Beitrag leisten.“ Sein Kollege Professor Manfred Aigner, für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Direktor des Instituts für Verbrennungstechnik in Stuttgart, ist dagegen fest davon überzeugt, dass sich in Pkws synthetische Kraftstoffe in Zukunft durchsetzen werden: „Die Frage ist nur wann. In unseren Köpfen und im Labor ist der synthetische Kraftstoff schon sehr weit gediehen. Das Problem liegt noch darin, ihn im großtechnischen Maßstab herzustellen."

„Power-to-X" für maßgeschneiderte Kraftstoffe

Diesen Schritt will das erst neun Jahre alte Unternehmen Sunfire aus Dresden, das 2016 als eines der zehn innovativsten Energieunternehmen weltweit ausgezeichnet wurde, demnächst wagen. Allein aus Wasser und Kohlendioxid stellt das Start-up-Unternehmen mit Ökostrom synthetischen Kraftstoff her. Das Verfahren heißt PtL (Power to Liquid) und funktioniert bereits so gut, dass Sunfire 2021 in Norwegen eine Produktionsanlage eröffnen will, die jährlich zehn Millionen Liter davon herstellen wird.

Sunfire- Gründer und Geschäftsführer Nils Aldag erklärt das vereinfacht so: „Anstatt wie bei der Natur zu warten, dass über Fotosynthese erst ein Baum entsteht, der dann über Millionen von Jahren unter der Erde landet und daraus Erdöl wird, nehmen wir diese Moleküle, CO2 und Wasser und spalten sie mit erneuerbarem Strom aus Sonne und Wind auf und erzeugen in kürzester Zeit saubere Kraftstoffe." „Power-to-X" nennt sich das Verfahren, das Strom aus erneuerbaren Quellen in Energiespeicher, Energieträger oder energieintensive Chemieprodukte umwandelt. Daraus können im zweiten Schritt maßgeschneiderte Kraftstoffe, verbesserte Kunststoffe oder andere Chemieprodukte entstehen. Damit soll „Power-to-X“ zum Ziel der Dekarbonisierung der Energiesysteme beitragen und den Anteil fossiler Rohstoffe in den Bereichen Transport und Verkehr sowie Chemie minimieren.

Erst kürzlich demonstrierten Forscher des sogenannten Kopernikus-Projektes P2X auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) wie aus Kohlendioxid, Wasser und Ökostrom ein Liter Kraftstoff entstehen kann. Zu diesem Konsortium gehören acht Forschungseinrichtungen, 27 Industrieunternehmen sowie drei zivilgesellschaftliche Organisationen an. Eines der Mitglieder ist Sunfire. Das hinter dem Kopernikus-Projekt stehende Bundesministerium für Bildung und Forschung nennt als Ziel „innerhalb von zehn Jahren neue technologische Entwicklungen bis zur industriellen Reife" zu bringen.

Was den künstlichen Kraftstoff angeht, scheint Sunfire schneller zu sein. Für die notwendigen chemischen Prozessschritte entwickelte das Start-up-Unternehmen aus Dresden zusammen mit drei Partnern eine kompakte Anlage, in der das Funktionsprinzip deutlich wird. Dabei sind vier Schritte notwendig, bis Benzin oder Diesel entstehen kann: Zunächst wird Kohlendioxid aus der Luft gewonnen. Danach erfolgt eine gleichzeitige elektrolytische Spaltung von Kohlenstoffdioxid und Wasserdampf in einem von Sunfire entwickelten Verfahren. Diese Co-Elektrolyse produziert in einem einzigen Prozessschritt Wasserstoff und Kohlenstoffmonoxid, ein Synthesegas, das die Grundlage für vielfältige Prozesse in der chemischen Industrie darstellt. Bemerkenswert ist der hohe Wirkungsgrad dieses Verfahrens, das im industriellen Maßstab 80 Prozent des eingesetzten Ökostroms chemisch im Synthesegas binden kann.

Im dritten Schritt entsteht per Fischer-Tropsch-Verfahren aus dem Synthesegas ein flüssiger Energieträger. Dieses Prinzip wurde bereits 1925 am Kaiser-Wilhelm-Institut (heute Max-Planck-Institut) in Mülheim an der Ruhr entwickelt, um aus Kohle Synthesegas und daraus wiederum mit Hilfe von Katalysatoren flüssige Treibstoffe zu gewinnen. Schließlich optimiert ein vierter Schritt Qualität und Ausbeute des Kraftstoffes: Dazu werden unter Wasserstoffatmosphäre die langen Kohlenwasserstoffketten in Gegenwart eines Katalysators teilweise aufgespalten und zu mehr verwendbaren Kraftstoffen wie Benzin, Kerosin und Diesel verändert.

Mittelfristiger Literpreis von einem Euro

Noch ist die Ausbeute im Experiment recht mager. Zunächst waren alle Beteiligten stolz auf einen Liter künstlich hergestellten Sprit. Dann ließen sich pro Tag bis zu zehn Liter Benzin herstellen. Doch dabei soll es nicht bleiben. Eine Anlage, die 200 Liter pro Tag produziert, ist schon in Planung, die nächstgrößere, die das Zehnfache herstellen soll, bereits angedacht.
Sunfire will es damit nicht bewenden lassen und peilt mit dem Kraftstoff der Zukunft schon bald eine industrielle Produktion an. Dafür gelang es den Pionieren aus Dresden, zahlungskräftige Sponsoren ins Boot zu holen. Kürzlich berichtete das Düsseldorfer „Handelsblatt": „Erst im Januar sammelte die Firma in einer neuen Finanzierungsrunde 25 Millionen Euro ein. Auch der französische Ölmulti Total sieht Potenzial, er investiert schon länger in die Dresdener.

„Total freut sich, effiziente Technologien zur Wiederverwendung von CO2 in Chemikalien, Roh- und Kraftstoffen einzusetzen. Die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 wird eine wesentliche Rolle bei der Erreichung der Klimaneutralität spielen, ohne das wirtschaftliche und soziale Wachstum zu beeinträchtigen", sagte Marie-Noelle Semeria, Senior Vice President, Group Chief Technology Officer bei Total. Während der Zusammenarbeit mit Total wird der Elektrolyseur von Sunfire in verschiedene Forschungsprogramme eingebunden. Am Standort Leuna werden diverse operative Studien durchgeführt, um die Leistungsfähigkeit des Systems auch in Abhängigkeit von variabler erneuerbarer Energiezufuhr zu bewerten. Das Pilotprojekt ist zunächst auf drei Jahre begrenzt, soll aber erst der Anfang sein. Total Carbon Neutrality Ventures, die Beteiligungskapitalgesellschaft der Total SA, ist seit 2014 Minderheitsaktionär von Sunfire.

Das Pilotprojekt in Sachsen-Anhalt hat freilich vorerst noch kleine Dimensionen. In den kommenden drei Jahren sollen aus ihm 500 Tonnen des synthetischen Grundstoffs für die Herstellung von „grünem" Methanol hervorgehen. Im gleichen Zeitraum produziert die Total-Raffinerie in Leuna 2,1 Millionen Tonnen traditionell hergestelltes Methanol. Währenddessen macht das norwegische Unternehmen Nordic Blue Crude Nägel mit Köpfen und plant eine kommerzielle Anlage, die täglich gut 25.000 Liter Rohöldestillat herstellen soll. Auch hier wird eine Co-Elektrolyseanlage von Sunfire eingesetzt.

Die Vorteile der daraus gewonnenen Kraftstoffe liegen auf der Hand. Sie können ohne irgendwelche Umbauten Autos, Bahnen, Flugzeuge oder Schiffe antreiben, emittieren dann freilich die gleichen Schadstoffe, die fossile Treibstoffe verursachen. Weil sie aber besonders rein sind, entstehen weit weniger Ruß und Stickoxide und lediglich so viel CO2, wie bei der Herstellung des Destillats der Luft zuvor entnommen wurde. Noch ist künstlicher Sprit allerdings teuer. In mittlerer Zukunft geht man bei Sunfire preislich von einem Euro pro Liter aus. Kurzfristig aber schlägt er mit 2,50 Euro zu Buche.

Kann eine klimafreundliche Mobilität ohne Kraftstoffe funktionieren und welche Überlegungen werden diesbezüglich bei Mineralölkonzernen in Betracht gezogen? Die Antwort lesen Sie im zweiten Teil der E-Fuels-Serie. –ampnet–

Quelle: https://www.next-mobility.news

Den Originalbeitrag finden Sie auf: https://www.next-mobility.news/e-fuels-hintergruende-technologien-und-unternehmen-a-894309/